Sonntag, 29. April 2012

Harald Giersche (Hrsg.) : space rocks


Harald Giersche (Hrsg.) : space rocks
Anthologie
Begedia 2011
Titelbild : Klaus G. Schimanski
Hardcover, 318 Seiten, 17,90 €
ISBN 978-3-9813946-1-0


Nachdem Harald Giersche mit seinen selbstverlegten "fantastic episodes" jahrelang ein relativ wenig beachtetes Dasein gefristet hat, machte er 2011 mit seinem neugeründetem Begedia-Verlag durch zwei SF-Anthologien von sich reden. Die erste, "Prototypen und andere Unwägbarkeiten", enthielt bereits diverse bemerkenswerte Geschichten bedeutender deutscher SF-Autoren. Und auch diese Anthologie enthält 8 nicht weniger faszinierende Novellen.

Uwe Post : Abgek. Mekkaterrnak
Siggi aus'm Ruhrpott trifft 'nen Außerirdischen mit 'ner Raumschiffpanne. Kurz entschlossen repariert Siggi mit'm Taschenmesser dat Ding und wird zum Dank auf einen Rundtrip ins All mitgenommen. Ein Erdling im Weltall – ein empfindlicher Wettverlust für die Leute auf Na Ta Riven, der nur durch die völlige Zerstörung der Erde abgewendet werden kann. Als Siggi durch Käferbefall zur Schwarmintelligenz wird, erledigt sich das Problem jedoch von selbst.
Platt, platter, am plattesten – so kann man die Gags dieser Story ohne Zweifel beschreiben. Und doch gelingt es Uwe Post, jeden einzelnen Gag zu zünden und die Story zu einer urkomisch-klamaukig-chaotischen Perle zu machen. Einmal mehr hat Uwe hier seine Vorherrschaft über den Humor in der deutschen SF verteidigt. Und wie auch seine Romane (Symbiose, Walpar Tonraffir) sprudelt auch diese Geschichte nur so über von wahnwitzigen, chaotischen und ungeheuer kreativen Ideen. Unbedingt lesenswert.

Karla Schmidt : Allein. Auf dem Wind
Auf den Bruchstücken einer auseinandergebrochenen Erde kämpfen Vogelartige und Menschen um ihre Existenz.
Mit dieser Geschichte kann ich nichts anfangen. Obwohl straightforward, in sich konsistent und logisch erzählt, komme ich weder mit Ambiente noch mit der Handlung wirklich klar. Was eventuell auch dadurch bedingt ist, daß die Geschichte weder SF noch Fantasy ist, sondern eine phantastische Story mit SF- und Fantasy-Elementen darstellt. Stilistisch teilweise sehr pilcheresk, bleibt der Rest Geschmackssache.

Frank W. Haubold : Das Paradies des Jägers
Die Erde ist eine Diktatur. Einer ihrer Vollstrecker wendet sich gegen die Unterdrückung – mit Hilfe von KIs und anderen freiheitsliebenden Intelligenzen.
Eine sehr interessante Story. Haubold benutzt die Form einer SF-Action-Geschichte, um hochphilosophische Gedanken und Inhalte zu transportieren. Neben der "Live Free or Die"-Aussage dreht sich diese Geschichte um die Perzeption der Welt, die Realität oder Irrealität dessen, was wir sehen, hören, schmecken, fühlen und empfinden. All dies ohne erhobenen Zeigefinger und oberlehrerhafte Attitüden. Und – und diesen Punkt halte ich für den bemerkenswertesten – in der Form einer positiven Utopie. Falls dies auch der Stil von Frank W. Haubolds neuer Space Opera ist ("Götterdämmerung" erscheint demnächst bei Atlantis), steht uns SF-Fans dieses Jahr noch ein aufregendes Leseerlebnis bevor.

Armin Rößler : Die Straße
Ger Passendale hat sich in die Wildnis zurückgezogen und hilft den Eingeborenen, eine eigene Technologie zu entwickeln. Nach einem Unfall auf der an seinem Haus vorbeiführenden Straße holt ihn seine Vergangenheit ein ...
Auch in dieser Geschichte spielt Armin Rößler den ihm eigenen "schriftstellerischen Standard" aus und erschafft in wenigen Sätze eine immens reichhaltige exotische Welt auf einem fernem Planeten. Der Leser wird sozusagen provoziert, diese Welt selbst weiterzuerkunden. Eine schöne Idylle – die unvermittelt durch Eindringlinge unwiderruflich zerstört wird, durch Menschen, die ihre eigenen absurden Vorschriften und Ehrbegriffe auch jedem anderem aufzwingen wollen und dafür über Leichen gehen. Von daher ist diese Story ein klares Statement zum heutigen Zustand der Gesellschaft in Deutschland, das Rößler geschickt in die dafür schon klassisch zu nennende Form einer SF-Story verpackt hat. Lesenswert !

Frederic Brake : Homeboy
Genialer Wissenschaftler entwickelt Sternenantrieb und wird von Konzernen verfolgt. Ihm zu Seite stehen einige Freaks, die auf dem Mond und Umgebung ihren Lebensunterhalt verdienen.
Diese Geschichte hat keinen tieferen Sinn. Überhaupt keinen ! Dafür merkt man in jeder Zeile, wieviel Spaß der Autor beim Spinnen dieses SF-Seemannsgarns hatte, beim Entwicklen dieser aus klassischen SF-Versatzstücken zusammengesetzten Räuberpistole. Nett und lesenswert, für Fans klassischer Abenteuer-SF des 19. und 20. Jahrhunderts ein unbedingtes Muß !

Nadine Boos : Kryophil
Die erste Landung auf dem Jupitermond Europa ist auch die erste Begegnung mit exoterrestrischen Lebensformen.
Spannend und stilistisch einwandfrei erzählt macht es immer wieder Spaß, Nadine Boos zu lesen. Allerdings verstehe ich den tieferen Sinn dieser Geschichte nicht, für mich ist sie eine einfach gestrickte "Go West, Young Man!"-Story, ansonsten nicht weiter bemerkenswert.

Christian Günther : Yuriks Schiff
Auf einem kargem Planeten kämpfen die Überlebenden einer Raumschiffshavarie um ihr Überleben.
Sorry, aber das ist keine Kurzgeschichte. Das ist der Anfang eines (Episoden-?) Romans, den ich gerne lesen würde. Ebenso wie bei "Rost" zeigt Christian Günther hier großes Story-Telling-Talent, so daß ich diese Geschichte (und hoffentlich bald auch den daraus resultierenden Roman) nur jedem weiterempfehlen kann.

Achim Hiltrop : Zollkontrolle
Eine Clou Gallagher-Story : Wie Trigger zur Welt kam
Eine Geschichte, die vor den bisher erschienenen Gallagher-Romanen spielt und ein (bezeichnendes) Licht auf Gallaghers frühere Jahre wirft. Nicht weniger amüsant als die Romane. Kurzgeschichten über Clou sind zwar frei auf Achim Hiltrops Website downloadbar, aber es macht mir mehr Spaß, diese gedruckt auf Papier zu lesen. Jetzt frage ich mich, welcher Verlag das Rennen macht und die gesammelten Gallagher-Short Stories veröffentlicht.

Diese Geschichten werden sehr schön im Hardcover mit Lesebändchen präsentiert und sind auch vom Haptischen her ein echter Genuß. Es fehlen nur noch die Innenillustrationen, um Wurdack und NOVA Anthologie-technisch zumindestens vom Äußeren her vollständig hinter sich zu lassen. Doch auch ohne diese Innenillus kann man diesen Novellenband nur jedem warm ans Herz legen.

Und dieser Band hat auch Fandom-intern Maßstäbe gesetzt. Denn der Herausgeber hat mit ihm bewiesen, daß es sehr wohl möglich ist, einen Story-Band mit den Autogrammen aller Autoren auszuliefern. Ich hoffe doch sehr, daß dieses Beispiel Schule macht.
*energischmitdemFußaufdenBodentappeundstrafendüberdenBrillenrandindieRundegucke*



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